Gespräch mit Uta Ranke-Heinemann
am 21. April 2004 in Essen

Das Gespräch mit Uta Ranke-Heinemann führten Saskia Daubenspeck, Max Schultes, Frank Gerken, Christoph Börchers und StR Helmut Ubben vom Gymnasium Ulricianum im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage.

„Das Kind sieht fremd aus!“ Die prominente Essener Theologin Uta Ranke-Heinemann wirft sich lachend in ihren Stuhl zurück, als sie sich an diesen Ausspruch ihres Vaters Gustav Heinemann anläßlich der Geburt ihres ersten Sohnes erinnert. „So etwas hört eine junge Mutter natürlich sehr gern.“ Die Konversion seiner Tochter zum Katholizismus und ihre Mischehe mit einem Beinahe-Dominikanermönch hat ihr Vater nie akzeptiert.

Uta Ranke-Heinemann sollte später zu einer der schärfsten Kritikerinnen des Katholizismus werden.

Wir sind zu Gast in der Essener Wohnung von Uta Ranke-Heinemann. Die Tochter des 3. Bundespräsidenten Gustav Heinemann (seines Zeichens langjähriger Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland) habilitierte sich 1969 in katholischer Theologie und bekam 1970 als weltweit erste Frau einen Lehrstuhl für katholische Theologie.

Sie erregte in den achtziger Jahren Aufmerksamkeit mit ihrer Kritik am „Frömmigkeitsspektakel“ anläßlich des ersten Papstbesuches Johannes Paul II. in Deutschland. Ihre Kritik an der katholischen Lehre der Jungfrauengeburt, diese trage „sexualfeindliche und zölibatärneurotische Züge“, löste einen Eklat aus, der sie 1987 ihren Lehrstuhl an der Universität Essen kostete. Der Essener Kardinal Hengsbach entzog ihr die Lehrbefugnis.

Für Aufsehen sorgte schon vorher ihr Engagement in der deutschen Friedensbewegung, z. B. ihr Besuch mitten im Vietnamkrieg in Hanoi. In den achtziger Jahren kandidierte sie bei mehreren Wahlen für die vor allem in NRW aktive „Friedensliste“. 1999 kandidierte sie aus Protest gegen die deutsche Beteiligung am Bomben-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien als Zählkandidatin der PDS für das Amt der Bundespräsidentin – gegen ihren angeschwägerten „Neffen" Johannes Rau.

"Sie ist katholisch geworden um ihren Vater zu ärgern" (Alice Schwarzer)

Uta Ranke-Heinemann trat 1953 zum Katholizismus über. „Ich dachte damals, alle Katholiken seien so sanft und so tolerant wie mein Mann.“ Einen anderen Grund für die Konversion nennt die heute 76jährige in unserem Gespräch nicht. Zwei Legenden haben sich inzwischen um diese Konversion gebildet. Eine Legende stammt von Alice Schwarzer, der Herausgeberin der „Emma“: „Sie ist katholisch geworden, um ihren Vater zu ärgern.“ „Was auch immer die Gründe waren, warum ich katholisch wurde, der Grund, meinen Vater zu ärgern, ist nicht dabei gewesen.“ Eine andere Legende lautet: „Der alte Heinemann hat seine gräßliche Tochter da reingeschoben, um den ganzen Laden hochgehen zu lassen.“

"Mein Vater hat vorausgesehen, daß ich Krach mit dem Papst kriegen würde.“

Ihr Vater suchte die Liebe der Schülerin (einziges Mädchen unter 800 Jungen im Essener Burggymnasium) zu ihrem katholischen Klassenkameraden – und damit die Annährung an den Katholizismus – mit allen Mitteln zu verhindern.

„Mein Vater hat mir verboten, mich mit Edmund Ranke zu verloben. Ich wurde später, das war 1947, als ich mich gegen sein Verbot doch verlobt hatte, von meinem Verlobten getrennt. Mein Vater hat mich an der Universität Bonn exmatrikuliert, weil mein Verlobter dort studierte, und ins Ausland geschickt, nach Oxford, Montpellier, Basel, auf die Hochburgen des Protestantismus“.

„Warum willst Du deinen Verstand an einen Italiener abgeben?“, habe er sie gefragt, als sie ihm ihren Beschluß, katholisch zu werden, verkündete. „Die Päpste waren damals ja alle Italiener. Er hatte ja Recht. Mein Vater hat vorausgesehen, daß ich Krach mit dem Papst kriegen würde. Ich habe das damals nicht gesehen.“

"Die Struktur der katholischen Kirche begünstigt die Homosexuellen.“

Der nächste Affront gegenüber der katholischen Kirche steht in ihrem Bestseller „Eunuchen für das Himmelreich" (24. Aufl.). Im Hinblick auf die zahlreichen Pädophilie-Skandale, nicht nur in den USA, sieht sie im Beichtstuhl eine „Kontaktbörse für Homosexuelle, die für Kinder und Jugendliche verboten werden sollte.“

Sie bezeichnet die katholische Kirche als „frauenloses Terrarium" mit einem hohen Prozentsatz an Homosexuellen. „Wer keine Affären mit Frauen hat, hat beste Chancen, auf der kirchlichen Karriereleiter aufzusteigen. Das oberste Gebot für den gesamten Klerus ist nämlich: Keine Skandale mit Frauen. Die Struktur der katholischen Kirche begünstigt damit Homosexuelle.“

Das Grundübel der Problematik sieht Ranke-Heinemann im Zölibat. „Wann immer ich ein Interview mit einem Bischof oder Kardinal höre oder sehe, heißt es: 'Der Zölibat hat nichts damit zu tun. Der kann von heute auf morgen geändert werden, der ist ja nicht einmal ein Dogma.' Das Interesse ist, den Zölibat aus der Schußlinie zu ziehen. Tatsache ist aber, daß gerade wegen des Zölibats die beiden größten Kirchenspaltungen – Abspaltung der griechischen Kirche 1054 und 500 Jahre später die Reformation Luthers – stattgefunden haben. In der Ostkirche sind alle Priester (außer den Bischöfen) verheiratet, und die Reformation hat im Westen eine riesige Priester-Heiratswelle ausgelöst. Für die katholische Kirche damals wie heute gehört die Zölibatsfrage jedoch nicht zur Sache – dafür aber sehr wohl zur Nebensache, an der sie damals wie heute jede Einigung scheitern ließ und läßt.“

„Der Zölibat muß weg!“, fordert Ranke-Heinemann schon lange. Der Zölibat widerspreche der menschlichen Natur und begünstige damit die Suche der zur Einsamkeit verdammten Priester nach Liebe und Zuneigung – manchmal eben in der falschen Richtung. Daß Skandale pädophiler Priester in der Vergangenheit immer wieder vertuscht wurden, Bischöfe sich schützend vor ihre Priester stellten und an Opfer Schmiergelder flossen, heute aber von der Kirchenspitze Reaktionen auf die Schandtaten erfolgten, begründet sie wie folgt: „Wenn der Aufschrei zu laut wird, dann muß auch der Papst ein paar salbungsvolle Worte sprechen. Aber ändern wird sich nichts. Daß der Zölibat die Ursache der Skandale ist, dieses Eingeständnis werden Sie von Johannes Paul II. nie hören, da sein Hauptanliegen gerade dies ist: ständig auf dem Gebiet der Frauen- und Sexualfeindlichkeit nachzubessern.“

Sie gibt zu, daß sie nicht alles an Wojtyla schlecht findet: „Er erzählt keine schmutzigen Witze und raucht nicht!“ Erstaunlicherweise ist ihre Kritik am Papst während unseres Gespräches nicht bei der theologischen Diskussion an ihrem Höhepunkt angelangt, noch mehr scheinen das Sprachentalent (zwölf Sprachen) die schlechten Englischkenntnisse des Papstes zu stören.

"Dann kommt immer heraus, was herauskommen soll.“

Die Arbeit der vom Vatikan und der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzten Kommissionen beurteilt sie vernichtend: „Die Leute, die da drin sitzen, sind vom Papst eingesetzt. Dann kommt immer das heraus, was herauskommen soll. Als es darum ging, sich zu entschuldigen für die Gräuel der Inquisition, da kam heraus, daß man das alles nicht mehr so genau rekonstruierten kann und deswegen noch kein Urteil fällen darf. Obwohl jeder normale Mensch auch ohne Kommissionen weiß, daß Inquisition ein schweres Verbrechen war. Päpstliche Kommissionen sind immer nur Verzögerungsmanöver und von Claqueuren besetzt.“

Eine Aversion gegen die Beichte hegte sie bereits ganz früh, hier lagen sogar ihre allerersten Zweifel als Katholikin: „Als meine Kinder zur Erstkommunion gehen sollten, mußten sie vorher beichten. Ich habe gesagt: 'Was sollen meine armen Honigbienen anderen Leuten erzählen, was sie selber noch gar nicht begreifen?' Ich hatte Angst, fremde Männer meine Kinder ausfragen zu lassen. Dann bin ich mit den Kindern nach Holland in unser Ferienhaus gefahren. Dort brauchte man zu der Zeit, das war vor Johannes Paul II., als Kommunionkind nicht zu beichten. Meine Mutter ist mitgefahren, obwohl sie doch so evangelisch war. Am Tag der Kommunion ging unsere Gasflasche zu Ende, da saßen wir auf der Wiese und hatten nichts zu essen. Das war die Erstkommunion, und mein goldiges Mütterchen war immer dabei.“

„Ich habe schon vor geraumer Zeit aufgehört zu glauben und angefangen zu denken!“

Mittlerweile hat sie ihre Kritik an der katholischen Kirche, an Kirchenlehren und vor allem am Papst erweitert. Die ergänzte Neuausgabe ihres zweiten Bestsellers „Nein und Amen" hat jetzt den geänderten Untertitel „Mein Abschied vom traditionellen Christentum“. Ranke-Heinemann, die von sich sagt, sie habe aufgehört zu glauben und angefangen zu denken, räumt mit den biblischen „Märchen“ auf und belegt anhand historischer Quellen Unstimmigkeiten und Widersprüche des Neuen Testamentes. Sie stellt die These auf, daß es sich beim Christentum um eine „heidnische Menschenopferreligion" handelt.

„Mit meinen frommen evangelischen Eltern haben wir Kinder vor dem Einschlafen immer gebetet:

,Hab‘ ich Unrecht heut‘ getan,
sieh' es lieber Gott nicht an,
deine Gnad‘ und Jesu Blut
macht ja allen Schaden gut.‘

Da habe ich mich schon sehr früh gefragt: ,Wieso macht Blut Schaden gut?‘ Später habe ich festgestellt, daß die Menschen Gott nach ihrem eigenen Bild geformt haben: neidisch und mißgünstig wie sie selbst. Der neidischen, mißgünstigen Gottheit meinten sie das Liebste opfern zu müssen: Besser ein Sohn als eine Tochter, besser der älteste Sohn als irgendein Sohn, noch besser der einzige Sohn, am allerbesten der erste und einzige Sohn. Und diesen makabren Gedanken dichten die Christen jetzt Gott an: Gott opfert blutig seinen einzigen, erstgeborenen Sohn, und zwar für uns. Was für ein Horror-Vater, dem mehr zu fehlen scheint als uns und der Erlösung nötiger braucht als wir. Blut klebt jetzt an seiner Eintrittskarte in den Himmel. Ich möchte so nicht erlöst werden, ich bin Gegnerin der Todesstrafe. Ich könnte, wenn Jesus später gekommen wäre, heute in Deutschland sowieso nicht mehr erlöst werden, nur noch in einigen barbarischen Ländern, die an der Todesstrafe festhalten, obwohl dann bei der Giftspritze den Priestern das Blut zum Abendmahl und zur Messe fehlen würde oder wegen der Vergiftung nicht brauchbar wäre.“

„Das Christentum ist eine heidnische Menschenopferreligion nach religiösem Steinzeitmuster!“

„Mich regt auch auf, auch bei den Evangelischen, daß sie am Glaubensbekenntnis: 'Geboren von der Jungfrau Maria, gekreuzigt unter Pontius Pilatus' festhalten, es aber in ihrem Glaubensbekenntnis nicht erwähnenswert finden, was Jesus zwischen Geburt und Kreuzestod gesagt oder getan hat. Jesus hätte 30 Jahre lang zu Hause sitzen und Kreuzworträtsel lösen können. Wichtig ist nur seine mirakulöse Jungfrauengeburt und sein blutiger Tod. Was er getan hat, ist inzwischen mit Wundern (Wundermärchen sind Wandermärchen, die von einer berühmten Person zur andern wandern) zugedeckt. Und was er gesagt hat, ist nicht mehr leicht festzustellen, da er mittlerweile völlig mit Gold übermalt und im Jahre 325 sogar zu Gott erklärt wurde. Aber man kann dies sagen, daß er Feindesliebe und Verzicht auf Vergeltung predigte.“

Von der Existenz Gottes ist die Theologin auch heute noch überzeugt. „Aber mein Verstand ist für jede Vorstellung von ihm zu klein.“ Sollte sie heute ein Gebet sprechen, würde sie es mit dem Philosophen Descartes so formulieren:

„Ich will einen Augenblick verweilen bei der Betrachtung dieses vollkommenen Gottes, ich will bedenken, bewundern und anbeten die unvergleichliche Schönheit dieses unendlichen Lichts, soweit es die Fassungskraft meines Geistes erlaubt, der vor diesem Licht geblendet steht.“

„Außerdem, warum soll ich an Gott glauben, wenn ich weiß, daß es Gott gibt?“ Ein negatives Glaubensbekenntnis hat sie sich statt dessen geschrieben, vom christlichen Glaubensbekenntnis blieben lediglich Anfang und Schluß übrig: Gott und ewiges Leben. Ihr negatives Glaubensbekenntnis hat 7 Punkte:

  1. Die Bibel ist nicht Gottes-, sondern Menschenwort.
  2. Daß Gott in drei Personen existiert, ist menschlicher Fantasie entsprungen.
  3. Jesus ist Mensch und nicht Gott.
  4. Maria ist Jesu Mutter und nicht Gottesmutter.
  5. Gott hat Himmel und Erde erschaffen, die Hölle haben die Menschen hinzuerfunden.
  6. Es gibt weder Erbsünde noch Teufel.
  7. Eine blutige Erlösung am Kreuz ist eine heidnische Menschenopferreligion nach religiösem Steinzeitmuster.

Aber Ranke-Heinemann sieht auch Positives: Gott habe allen Menschen 1) die goldene Verhaltensregel, d. h. Menschlichkeit und Wohlwollen und 2) die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben jenseits des Todes ins Herz geschrieben, auch wenn ein Gebirge von Hoffnungslosigkeit sich darüber zusammengefaltet haben mag. „Ich habe zwar den Glauben verloren, aber Liebe und Hoffnung sind bei mir geblieben. Ich habe jetzt nur noch den einen Gedanken: meinen am 11. September 2001 verstorbenen Mann, von dem der Tod mich nicht scheiden konnte, im Jenseits wiederzufinden“, sagt sie.

Wir bedanken uns bei Uta Ranke-Heinemann für drei wundervolle Stunden als liebevoller Gastgeberin – einer Frau, die tief in ihre Wissenschaft, in ihre Suche nach religiöser Erkenntnis, vertieft ist, die die fremdsprachlichen Riesen-Enzyklopädien in ihrem Haus der ca. zehntausend Bücher (die spanische Enzyklopädie hat allein 91 Bände) ununterbrochen liest (mit unheimlich gutem Gedächtnis), die im Fernsehen außer Nachrichten nur ausländische Sendungen einschaltet (einzige deutschsprachige Sendung „Aktenzeichen XY – ungelöst"), einer Frau, die man in drei Stunden niemals ausreichend verstehen kann. Wir bedanken uns für einen informativen und amüsanten Tag.

[Näheres zu diesem Interview findet man in den beiden Heyne-Taschenbüchern 2004: „Eunuchen für das Himmelreich, katholische Kirche und Sexualität" und „Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum“.]